Seit 30 Jahren engagiert sich der Jenaer Kunstverein für die Präsentation und Vermittlung zeitgenössischer regionaler und überregionaler Kunst in vielfältigen Projekten mit unterschiedlichen Partnern. Mit enormer Motivation und Tatkraft wurden seit der Neugründung des Vereins nach dem Ende der DDR über 150 Ausstellungsprojekte an 12 verschiedenen Orten in Jena umgesetzt, begleitet von Vorträgen, Diskussionsabenden, Konzerten oder Lesungen. Selbst die Corona-Pandemie hat die Arbeit des Kunstvereins nicht zum Erliegen gebracht. Stattdessen wurden neue Konzepte erarbeitet und prompt umgesetzt, um auch in Zeiten des physical distancing sozialer Distanz entgegenzuwirken.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kulturakteure der Stadt
Dennoch hat die Pandemie Spuren hinterlassen – oder besser: Leerstellen. Obwohl Ausstellungen im digitalen Raum per Video, Foto und Text zu besichtigen waren, ist doch klar geworden, welch hohen Stellenwert der Diskurs, der persönliche Austausch im Kontext von Kunstausstellungen innehat. Gedankliche Anregungen, die aus der Auseinandersetzung mit Kunst erwachsen, fordern Gespräche, in denen man die eigenen Gedanken teilen und diskutieren kann, Situationen, in denen man mit bisher fremden Ideen und Welten konfrontiert wird, sind die Basis für Dynamik und (Weiter-) Entwicklung.
Dass nach diesem Jahr der Entbehrungen mit dem Haushaltssicherungskonzept (HSK) der Stadt Jena nun ein weiterer, diesmal menschengemachter harter Einschnitt in das kulturelle und soziale Leben der Stadt erfolgen soll, ist ein Schlag ins Gesicht aller ehrenamtlich Tätigen, aller Menschen, die sich für soziales und kulturelles Miteinander, für Bildung, lebenslanges Lernen und Ermöglichung von Teilhabe für alle engagieren. Wenn in der Corona-Pandemie die Impfung als Lichtblick erscheint, so verdunkelt sich die Perspektive auf das soziale und kulturelle Leben der Stadt Jena für die nächsten fünf Jahre. Der Lichtblick schwindet.
Gerade der Kultursektor mit allen Beteiligten hat die vollen Härten der Pandemie-Situation zu spüren bekommen, besonders die zahlreichen Freiberufler:innen der Kreativ- und Veranstaltungsbranche ebenso wie freischaffende Künstler:innen. Wo Überbrückungshilfen Wirtschaftsunternehmen subventionierten, blieb für viele Kulturschaffende nur der Gang zum Jobcenter. Schlimm genug?!
Neustart Kultur oder Kulturbremse?
Doch es geht wohl immer schlimmer. Während viele Politiker:innen sich inzwischen bewusst darüber geworden sind, dass Menschen gerade jetzt, fast ein Jahr nach Beginn der Pandemie, Perspektiven und einen positiven Blick in die Zukunft brauchen, scheint diese Erkenntnis nicht allerorts eingetreten zu sein. Das, was aktuell fehlt, und mit Programmen wir ‚NEUSTART KULTUR‘ vom Bundesministerium für Kultur und Medien gefördert wird, soll nun in Jena gravierend beschnitten werden. Dabei zeigt sich, dass gerade kulturelle Akteure im Umgang mit Krisen im Stande sind, kreative Lösungen zu finden.
Den Menschen fehlt nicht nur die Möglichkeit zu konsumieren, sondern vor allem fehlen Orte der Zerstreuung, der Kontemplation, der Konzentration, des kulturellen Austauschs. Gerade diese sind es, die zur Resilienz beitragen, auf manche sogar therapeutische Wirkung ausüben. Dort, wo harte Einschnitte stattfanden, darf nun nicht noch mehr beschnitten werden, besonders nicht pauschal und über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg. Auch wenn 20% weniger Fördermittel nicht nach viel klingen mögen, so ist doch besonders im prekären Kultursektor jeder Cent wichtig und 20% werden zum Faktor, der über Existenz oder Nicht-Existenz entscheidet. Ein lebendiges kulturelles Leben ist die Basis für Lebensqualität für die Bürger:innen der Stadt, für Teilhabechancen in einem nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Kulturbetrieb, für die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Lebendiges kulturelles Leben ist Ausdruck des menschlichen Zusammenlebens und zugleich das, was auch in Zeiten der Krise, der politischen Unsicherheit Gemeinschaft stiftet, Diskursräume öffnet und Reflexionsangebote schafft.
Über Werte und Wertungen – Die Finanzierungsfrage als Frage der Perspektive
Das Jenaer HSK gibt interessante und zugleich ernüchternde Einblicke in die Wertsetzungen der Stadt. So seien „Maßnahmen, die direkt ein Wachstum von Wirtschaft und Steuerkraft bewirken, […] wichtiger als solche, die das nicht oder nur indirekt tun.“ (HSK, S. 19) Ist Geld nun wichtiger als Kultur? Kann sich eine Stadt als Wirtschaftsstandort definieren und etablieren, wenn Kunst und Kultur nur ein marginaler Stellenwert zugestanden wird? Die Klassifizierung von Kultur als ‚weicher‘ Standortfaktor sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kultur ein essenzieller Standortfaktor ist. „Alle Bereiche des kulturellen Lebens sind eng miteinander verbunden und stehen in zahlreichen Wechselwirkungen. Veränderungen in einem Bereich wirken sich auch auf die anderen aus. Daher betreffen Kürzungen der öffentlichen Kulturausgaben alle Bereiche des kulturellen Lebens und nicht nur die öffentlichen Kultureinrichtungen selbst.“ (vgl. https://www.kulturrat.de/positionen/kulturfinanzierung/)
Dass die Stadt hier mit ihrer Bürgerschaft in Konflikt tritt, wird aus dem breiten Protest verschiedenster Akteure im kulturellen und sozialen Bereich deutlich. Ignoriert die Stadt die Tatsache, dass die Vielfalt des kulturellen Lebens in Jena nicht nur auf ihren Förderungen beruhen? Ist es eine vermeidbare ‚Last‘, Kultur und Soziales zu fördern? Oder ist genau diese Förderung die Investition, die die Stadt erst zu dem macht, was sie ist?
Kultur als gemeinsame Investition
Ja, die Stadt investiert Geld, monetäre Werte, doch die größtenteils ehrenamtlich in Vereinen und Verbünden organisierte Bürgerschaft investiert im Gegenzug ihre Zeit, ihre Kraft und ihr unermüdliches Engagement. Ja, beides sind sozusagen ‚freiwillige‘ Leistungen, vor allem die Bürger:innen haben keine Pflicht, sich für eine breite Kulturlandschaft in der Stadt zu engagieren. Doch eines ist klar: Eine lebenswerte, lebendige, dynamische Stadtentwicklung kann nur Hand in Hand gehen. Ohne die finanzielle Förderung der Stadt gibt es kein ehrenamtliches, nachhaltiges Engagement, von dem die Stadt als ganzheitlicher Organismus profitiert. Ebenso ist das ehrenamtliche Engagement der Freiwilligen die Basis für Identität, Teilhabe, Diversität, Innovation, Lebensqualität und Gemeinschaft – Grundlage für eine positive und zukunftsweisende Stadtentwicklung. Übrigens: Die Enquete-Kommission bezeichnete in ihrem Schlussbericht (Bundesdrucksache 16/7000) den Bürger als den wichtigsten Finanzier von Kunst und Kultur: erstens als Marktteilnehmer, zweitens als bürgerschaftlicher Engagierter, drittens als Steuerzahler.
(vgl. https://www.kulturrat.de/positionen/kulturfinanzierung/)
Wir leisten unseren Beitrag – und das machen wir sehr gerne. Wir möchten das auch weiterhin tun. Deshalb sprechen wir uns gegen die drastischen Sparmaßnahmen des vorgeschlagenen HSK aus. Nichts ist alternativlos. Lieber Stadtrat, lieber Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche: Finden Sie kreative und innovative Strategien für den Umgang mit der Haushaltslage und eröffnen Sie den Bürger:innen und ehrenamtlich Engagierten Jenas eine positive Zukunftsperspektive.
(Autorin der Stellungnahme: Michaela Mai im Namen des Jenaer Kunstvereins)