Der FrommannscheSkulpturenGarten entsteht in Zusammenarbeit des Jenaer Kunstvereins, des Lehrstuhls für Kunstgeschichte und Studierenden des Seminars für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft der Uni Jena. Die Texte zu den Werken von Joscha Bender wurden von den Studentinnen Celia Gómez Campos, Selina Kusche und Lisa-Marie Striegel verfasst. Die Fotos stammen von Wolfgang Grau.
David & Jeff (Vater und Sohn)
140 x 30 x 22 cm, 2022, Göflaner Marmor, teils farbig gefasst
Ort: Frommannsches Anwesen
Eine fast lebensgroße männliche Figur trägt ein Kind mit einem blau glänzenden Ballontier in den Händen auf ihren Schultern. Der Mann verfügt über alle Merkmale eines erfolgreichen Vaters der Gegenwart: volles, voluminöses Haar, ein wohlgeformtes Gesicht und sportlich-elegante Kleidung. Zudem trägt er eine luxuriöse Sportuhr und teure Nike Air Jordan Sneakers. In seiner rechten Hand hält er einen Bund mit mehreren Schlüsseln.
Die Haltung des Mannes erinnert an die des „David“ von Michelangelo. Diese Skulptur gilt bis heute als ein Meisterwerk der Hochrenaissance und Sinnbild idealer, jugendlicher Männlichkeit. Das Ballontier referiert auf die farbenfrohen „Balloon Animals“ von Jeff Koons. Seine glänzenden Tierskulpturen zählen zu den teuersten Arbeiten der zeitgenössischen Kunst.
Joscha Bender nutzt Elemente der Populärkultur und der Kunstgeschichte, um einen kritischen Blick auf das Idealbild der Männlichkeit und Vaterschaft zu richten. Auf den ersten Blick wirkt alles perfekt. Achtet man jedoch auf den Stand der Figur, bröckelt die Perfektion: Der Mann tritt auf eine Blume neben sich.
Die Skulptur besteht aus Göflaner Marmor. Dieses weiße Gestein wird in Südtirol untertage abgebaut. Es handelt sich um ein seltenes und wertvolles Material, das sich auch durch die fehlenden grauen Kohlenstoffeinschlüsse und damit eine homogene weiße Oberfläche auszeichnet. Das makellose Material unterstreicht die scheinbare Fehlerlosigkeit des dargestellten Idealbilds eines Vaters. Doch in welcher Beziehung steht er zu seinem Sohn? Ist dieser auch nur ein Designattribut des idealen Vaters?
Text: Lisa-Marie Striegel
Chasing Girls
93 x 70 x 10 cm, 2022, Belgisch Granit
Ort: Frommannsches Anwesen
Die flache Skulptur der beiden Läuferinnen mit dem kleinen Hund erhält durch ihre Aufhängung an der Mauer den Charakter eines Reliefs. Besonders deutlich wird dies an den Beinen der Läuferinnen und dem Hund. In einem raffinierten Spiel von Überlagerung und Überscheidungen schafft der Künstler den Eindruck von Dreidimensionalität.
Die scheinbar perfekten Körper der Sportlerinnen weisen kleine anatomische Abweichungen auf. Der Fuß der rechten Frau ist stark verkürzt und sonderbar nach oben gedrückt. Die Oberarme sind etwas zu lang und der Kopf der linken Figur wirkt langgezogen. Die Formen werden also nicht naturalistisch wiedergegeben, sondern leicht abstrahiert.
Die kaum ausdifferenzierten Gesichter der zwei Figuren wirken dadurch unnahbar und fremd. Sie sind in ihrem sportlichen Treiben versunken und scheinen der Umwelt kaum Aufmerksamkeit zu schenken. Das Blattwerk im Hintergrund wird auch nur angedeutet, wodurch es ebenso abstrakt und schematisch wie die weiblichen Figuren wirkt.
Joscha Bender reizt die materielle Begrenztheit des Steins voll aus und passt sein Motiv an dessen besondere Beschaffenheit und Maße an. Im Arbeitsprozess fokussiert er sich auf einzelne Details und legt die größeren Formen spontan fest.
Das Laufen wird als eine entkörperlichte Tätigkeit dargestellt, welche unreflektiert von den Figuren ausgeführt wird. Die Arbeit thematisiert das Streben nach dem idealen Körper, welcher durch regelmäßige Ertüchtigung erreicht werden soll. Sichtbar wird, dass das positiv gedachte Streben nach Selbstverbesserung klischee- und zwanghaft werden kann.
Text: Lisa-Marie Striegel
Plank (Bank)
45 x 145 x 32 cm, 2023, Diabas
Ort: Frommannsches Anwesen
Die liegende Skulptur stellt einen fast lebensgroßen Sportler beim Ausführen einer „Plank“ dar. Bei dieser Sportübung wird der Oberkörper durch Anspannung gerade gehalten, das Körpergewicht auf die Unterarme und Fersen gelagert, wodurch er wie eine Holzplanke (Englisch: Plank) erscheint.
In dieser humorvollen Umsetzung der Sportübung lagert das Gewicht des Sportlers vollständig auf seinem eigenen Kopf und den Armen. Der Kopf wirkt durch seine geschlossenen Augen und zusammengezogenen Augenbrauen überaus angestrengt und konzentriert. Die Last, welche auf ihm ruht, scheint ihm Schmerzen und Unbehagen zu verursachen. Bis auf eine Sporthose von Nike ist die Figur nackt. Ihre wulstigen Füße wirken winzig und passen nicht recht zum sportlich-muskulösen Rest des Körpers.
Der verwendete Diabas verfügt über eine einzigartige Marmorierung, wodurch eine Musterung auf der Figur entsteht. Der Stein als solcher wird in Mittelhessen durch Sprengungen abgebaut. Große Steine, wie Joscha Bender sie somit verwendet, sind jedoch eher eine Seltenheit. Der hier gezeigte längliche Stein wurde zuvor als Grabstein verwendet. Der Edelstahlanker im Hals verweist noch darauf. Die Unterarme und der Kopf wurden ebenfalls aus ausarrangierten Bruchsteinen gefertigt. Der Künstler kombiniert die einzelnen Steine zu einer neuen Einheit. Dadurch wirkt der Körper wie eine Puppe, bei welcher man einzelne Teile abnehmen und wieder anstecken kann. Die Skulptur spielt damit, dass man den Kopf unter den Beinen der Figur wieder an seinem ursprünglichen Platz anbringen könnte.
Text: Lisa-Marie Striegel
Neugierde
50 x 110 x 35 cm, 2023, Marmor und Anröchter Dolomit, farbig gefasst
Ort: Frommannsches Anwesen
Wenn man sich diesem Werk nähert, verstärkt sich zunehmend das titelgebende Gefühl: Die Neugierde. Während eine Seite – mit ihrem Blattwerk und dem Lavendel – in die Umgebung des Rosengartens übergeht und die Form der Skulptur die Kreuzkomposition der Wege aufnimmt, bringt sie zugleich ein unerwartetes Element ein: Die über den Ästen hängenden Kleidungsstücke regen dazu an, die Skulptur genauer und von allen Seiten zu beschauen. So offenbart das Werk mehr: Von Blättern und sich biegenden Grashalmen umgeben, ist auf der anderen Seite ein Paar zu finden, nackt und eng umschlungen. Die starke Neugierde dieser beiden bezieht sich nur aufeinander. Deutlich wird, wie zeitlos und zutiefst menschlich dieses Gefühl ist. Zugleich spricht der Titel uns als Betrachtende direkt an: Wir, die das Kunstwerk genauer beäugen, werden durch unser Interesse zu Voyeuren. Die Neugierde begleitete den Künstler Joscha Bender auch im Entstehungsprozess seiner Arbeit. Für ihn ging es speziell um die Frage, was aus einem Kalkstein entstehen kann, der ursprünglich als Tischplatte vorgesehen war. Zudem stellte sich ihm die Herausforderung, ob und wie skulpturale Raumkunst in einem derart flachen Medium überhaupt möglich ist. Beide Fragen beantwortet Bender, indem er ein freistehendes Relief erschafft, das an den biblischen Paradiesgarten erinnert und sich so in die Kunstgeschichte einordnet. Er orientiert sich medienübergreifend an der markanten Linienführung von Holzschnitten. Deren Motive werden nun dreidimensional. So steht für die Komposition des ineinander verschlungenen Paars der Holzschnitt „Lovers“ (1924) des britischen Bildhauers Eric Gill Pate.
Text: Selina Kusche
Eat the Frog
53 x 53 x 65 cm, 2023, Belgisch Granit
Ort: Frommannsches Anwesen
Der sehr kompakte, überlebensgroße Frosch besteht aus Belgisch Granit. Die Flecken des Steines und einzeln herausgearbeiteten Knubbel imitieren dabei die Beschaffenheit der Haut von Amphibien. Das naturalistische Erscheinungsbild des Froschs und sein achsensymmetrischer Körperbau kann auf die stringente Arbeitsweise des Künstlers zurückgeführt werden. Hierbei arbeitete er zuerst eine Hälfte des Tieres aus, bevor er in immer feiner werdenden Arbeitsschritten dessen andere Seite gestaltete.
Auf dem kleinen Sockel ist der Schriftzug und Titel der Arbeit „Eat the Frog“ („Iss‘ den Frosch“) zu lesen. Der Titel ist nicht zufällig gewählt, da der englische Ausspruch eine bestimmte Arbeits- und Lebensphilosophie widerspiegelt: Für effektives Arbeiten soll man die unangenehmste Aufgabe gleich am Anfang des Tages erledigen.
Bei der Skulptur handelt es sich jedoch nicht um das Bild eines Frosches, wie es der Titel nahelegt, denn gestalterisches Vorbild war die Coloradokröte. Diese ist bekannt dafür, dass ihr Drüsensekret ein Halluzinogen produziert, das je nach Dosierung tödlich sein kann. Gleichzeitig wird es gezielt als bewusstseinserweiternde Droge genutzt.
Die Vorstellung, einen Frosch oder eine Kröte zu essen, ist generell mit Ekel verbunden. In Kombination mit den möglichen tödlichen Nebenwirkungen erscheint das Verspeisen dieser Coloradokröte noch unangenehmer. Die halluzinogene Wirkung könnte das Erlebnis wiederum erfreulicher machen, jedoch gibt es keine Garantie für ihr Eintreten. Es stellt sich die Frage, ob gut gemeinte Lebensweisheiten und Ratschläge zur besseren Lebensgestaltung immer die gewünschten Ergebnisse erzielen.
Text: Lisa-Marie Striegel
Untouched
100 x 80 x 10 cm, 2021, Baumberger Sandstein
Ort: Schillers Gartenhaus
Die reliefartige Skulptur bildet eine Ausnahme in Joscha Benders Œuvre. Im Gegensatz zum überwiegenden Teil seines Werkes sind keine menschlichen Figuren zu sehen. Die kompakte, zweiseitige Komposition zeigt Bäume, Gräser, Pilze und ein Schneckenhaus. Die figurative Darstellung neigt zu abstrakten, vereinfachten Formen, die kein exaktes mimetisches Bild ergeben. Die unberührte Natur hat etwas Idyllisches und wirkt sehr ursprünglich, so als hätte kein Mensch jemals einen Fuß daraufgesetzt. Die Abwesenheit einer Erzählung wird in der Plastik durch Klänge, Rhythmen, Tiefen und Höhen gefüllt. Mit einer starken Betonung der Linie als Kompositionselement greift der Künstler auf Einflüsse des japanischen Holzschnittes zurück. Diese sind auf der Rückseite des Werkes in den beiden nach links fliegenden Kranichen deutlich zu erkennen.
Die fast magisch wirkende Naturdarstellung gehört, zusammen mit dem Werk „Banishment“ („Verbannung“), zu einer noch nicht beendeten Serie Joscha Benders. Trotz des gleichen Formats und Materials könnten die Atmosphären beider Kunstwerke nicht unterschiedlicher sein. Während auf der anderen Tafel eine hektische und ängstliche Stimmung herrscht, ist hier friedliche Ruhe zu spüren. Ist dies der Ort, von dem das Paar verbannt wurde, oder das ferne Ziel, nach dem es strebt?
Beide Lesarten lassen sich mit einer Widmung auf einer Holzbank auf der Jenaer Horizontale (einem Wanderweg auf den Bergen um Jena) zusammenfassen: „Die Natur enttäuscht dich nie.“ Denn an sie kann man keine Forderungen stellen. Die Natur, wie sie im Werk „Untouched“ dargestellt ist, kann sowohl idealisiertes Paradies als auch vertraute Heimat sein. Das Verhältnis zu ihr, als Beschützer oder Ausbeuter, ist ein Thema, das die gesamte Menschheitsgeschichte durchzieht.
Text: Celia Gómez Campos
Couple
50 x 50 x 45 cm, 2016, Bronze patiniert
Ort: Schillers Gartenhaus
Erst auf den zweiten Blick treten aus dieser Bronzekugel identifizierbare Formen heraus: Füße, Hände, Gliedmaßen und Köpfe. Sie gehören – wie sich bei genauer Betrachtung erschließt – zu zwei nackten Menschen, die eng umschlungen sind, fast verzweifelt aneinander festhalten und beinahe miteinander verschmelzen. Für die beiden Dargestellten gibt es – genau wie für uns als Betrachtende – weder vorn und hinten noch unten oder oben. Und doch scheinen alle Richtungen simultan zu existieren. Die Figuren wirken wie in ihrer Bewegung erstarrt, gleichzeitig lässt sich die Skulptur aufgrund ihrer Kugelform (zumindest gedanklich) drehen. Dabei wechseln die Gezeigten ihre Positionen.
Dies ist sinnbildlich für die Dynamik innerhalb einer ausgeglichenen Beziehung, die sich wandeln muss, um bestehen zu bleiben. Dazu passt die von Joscha Bender gewählte Form. Die Kugel ist als Attribut der griechischen Göttin Fortuna ein Symbol für das wechselnde Glück und das fortlaufende Schicksal, das hier zwei Individuen miteinander teilen. Zugleich steht sie für die Weltkugel. Im gezeigten Moment der Vereinigung besteht die Wahrnehmung der Welt nur noch aus den beiden, frei nach dem Prinzip von Yin und Yang. Der Weg zum Ideal liegt hier im gegenseitigen Ausgleich. Wie in vielen seiner Arbeiten bezieht sich Bender auch hier auf kunsthistorische Vorbilder. Vor allem rekurriert er auf den „Gardenroller“ (1933), der dem Bildhauer Eric Gill zugeschrieben wird. Dieses Werk beruht auf dem gleichnamigen Gebrauchsgegenstand, der zum schnelleren Eindrücken von Saatgut in den Boden verwendet wird. Dieses Werkzeug, das bei der Erzeugung pflanzlichen Lebens hilft, zierte der britische Künstler mit Darstellungen von Adam und Eva, die, ineinander verschlungen, ebenfalls neues Leben zeugen. Das wiederum führt in die Gegenwart zu Benders Liebespaar.
Text: Selina Kusche
Videos zur Ausstellung
Joscha Bender im Gespräch mit der Kuratorin Andrea Karle
IDEALIZE: Joscha Bender
Question & Answer, part 1
IDEALIZE: Joscha Bender
Question & Answer, part 2:
Themenwahl
IDEALIZE: Joscha Bender
Question & Answer, part 3
IDEALIZE: Joscha Bender
Teaser
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